KÖRPER
KULT
Wir, Agnetha Jaunich und Mareike Steffens, inizieren seit 2019 Community Projekte in Kassel. Unser Anliegen ist es, mittels Tanz in den Dialog über gesellschaftliche Themen und Phänomene zu treten. Dabei ist uns der Dialog und der Austausch mit allen Teilnehmenden besonders wichtig. Jede/r Tänzer:in soll eine Plattform bekommen, um sich auszudrücken und ihre kreatives Potenzial auszuleben.
In unserem ersten gemeinsamen Projekt hatten wir das Glück mit Menschen im Alter zwischen 11 und 74 Jahren zusammen arbeiten zu können. Die unterschiedlichen Wege für ihre eigenen Geschichten einen körperlichen Ausdruck zu erlangen, berührte uns zu tiefst. Aus diesem Projekt entstand die Idee eine Inszenierung über Körper zu machen. Wir wollten unterschiedliche Körper in den Fokus stellen, ihre Schönheit sichtbar machen und Raum geben, sich mit unserer menschlichen Hülle im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Normen und der eigenen Wahrnehmung zu beschäftigen.
Das Projekt „Körper-Kult“ war geboren.
Ein Riss im Himmel
Blau mit weissen Wolken
Die Form mutet schön an
Schaukelt sanft
Fast wie eine Bewegung Sinfonie
Dann ist es vorbei.
Wir starteten euphorisch in das Jahr 2020. Es hatten sich bereits viele Teilnehmende angemeldet und wir freuten uns über den großen Zuspruch für unsere Arbeit.
Neben der tänzerischen Arbeit wollten wir zudem zum ersten Mal mit Expert:innen aus anderen Bereichen in den Austausch gehen. Es waren Wokshops mit einem Zeichner, einer Soziologin und einem Body Builder zum Thema Körper geplant. Wir warteten sehnsüchtig auf den Projektstart.
Leider kam dann alles anders als erwartet.
Durch die weltweite Pandemie wurde schnell klar, dass gemeinsame Proben mit bis zu 20 Teilnehmenden nicht möglich sein würden.
Das Projekt und auch wir als Tanzkünstlerinnen standen vor einer Herausforderung.
Wie sollte und konnte es weiter gehen?
Ganz schnell ist es vorbei
In vielen Gesprächen zwischen den Projektverantwortlichen und den Laien-Tänzer:innen stellte sich zum Glück schnell heraus, wir alle wollten einen Weg finden, trotz aller Hürden, dennoch das Projekt zu realisieren.
Es entstand der Plan eine digitale Umsetzung zu finden. Jedoch waren wir uns alle einig, dass es keine Online-Performance werden sollte. Der künstlerische Prozess war das, was uns alle interessierte und so entschieden wir uns, das Risiko einzugehen uns auf einen ergebnisoffenen Weg zu begeben und unseren gemeinsamen künstlerischen Austausch in den Mittelpunkt zu stellen.
Die Proben begannen, diesmal nicht wie gewohnt alle gemeinsam im Tanzstudio, sondern im digitalen Trainingsraum über Zoom. Unsere Wohnräume wurden zum Tanzsaal, unsere Bildschirme zum Austauschmedium. Im Wechsel von körperlichen Training und gemeinsamen Gesprächen näherten wir uns dem Thema.
In einer Zeit, in der die Körper fast nur noch im digitalen Raum sichtbar wurden, kamen wir in Kontakt über eben diese. Eine Erfahrung, die gerade in dieser besonderen Zeit, eine ganz besondere war und immer noch nachklingt.
Ja, inzwischen weiß ich , dass man als Person und nicht in Einzelteile zerlegt wahrgenommen wird, aber diese Erkenntnis nutzt mir nur gelegentlich.
Der eigene Körper, unser stetes zu Hause, ein großer Teil unserer Identität und doch uns manchmal so fremd und unbeliebt. Egal ob wir gerade 14 oder 75 Jahre alt sind, uns alle eint, dass wir uns manchmal wohl in unserer Haut fühlen und diese an einem anderen Tag am liebsten ablegen würden und gegen eine neue, bessere Hülle eintauschen würden. Der Blick auf uns selbst kann so unvermittelt wechseln von einer liebevollen Betrachtung zu einer gnadenlosen Suche nach Makeln, wie das Wetter. Fast nirgendwo anders sind wir so kritisch, wie bei uns selbst. Oftmals finden wir woanders in den Makeln die eigentliche Schönheit, wie zum Beispiel bei einem Baum, der nicht gerade Richtung Himmel gewachsen ist, sondern durch Stürme und seine Umgebung verbogen ist und dessen Rinde von einer belebten Geschichte erzählt. Sollten wir unseren eigenen Körper nicht viel mehr wie eine liebgewonnene Landschaft, eine Pflanze betrachten. Schließlich wachsen wir auch, wild und ungestüm und frei.
Der eigene Körper als Landschaft. Dieses Bild beschäftigte uns in unserem Prozess stark. Es entstand die Idee, uns auf die Suche nach Verschmelzungen von unserer Umgebung und uns selbst zu begeben. Im Anschluss an die gemeinsamen Online Proben zogen die Teilnehmenden des Projektes los und untersuchten die alltäglichen Orte, die ihre Körper sonst meist unbewusst durchschreiten, auf ihre künstlerische Qualität. Ziel war es mit der Landschaft, die uns so vertraut ist, wie unser eigener Körper, eine Verbindung einzugehen.
Landschaften, mal können sie öde und grau erscheinen, aber wenn man genau hinschaut gibt es da dieses eine Detail, welches unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, welches eben nicht öde und grau ist, sondern uns besonders gut gefällt.
Welches Körperteil, welche Stelle an deinem Körper gefällt dir eigentlich besonders gut? Und welches magst du überhaupt nicht?
Durch die Defragmentierung unseres Körper können wir unseren Fokus noch einmal ganz genau auf einzelne Körperstellen richten. Was wir auf der Bühne nur als Ganzes zeigen können, kann durch die Kamera in einem anderen Blickwinkel gesehen werden. Eine kreisende Schulter, zwei Hände im Duett, wippende Füße, die scheinbar die Gesetze der Schwerkraft ignorieren. Isoliert betrachtet erscheinen unsere Körper genauso poetisch, wie absurd. Die Kamera ermöglichte es uns, uns selbst noch einmal ganz neu zu sehen.
Uns selbst von außen sehen. Im Gespräch mit den Anderen feststellen, dass wir alle die Tage kennen, egal wie alt wir sind, an denen wir gerne unsere Körper eintauschen würden. Aber halt auch die, an denen wir uns sehr gerne mögen. Es bleibt ein auf und ab, ein wachsen. Mal nehmen wir unseren Körper eher wie eine Bonsai Baum wahr, den wir in Form bringen können und manchmal lassen wir ihn wachsen, einfach so, wie er will. Egal ob Bonsai oder Wildblume, Pflanzen wachsen besser, wenn man sich liebevoll um sie kümmert, mit ihnen spricht und sie ab und an auch einmal umarmt.
Das Projekt Körper-Kult nahm uns alle mit auf eine Reise. Auf dem Weg tauschten wir uns intensiv über Eigen- und Fremdwahrnehmungen von uns selbst und anderen aus, wie schwer es manchmal ist, sich selbst anzunehmen und die Einflüsse von außen nicht allzu wichtig zu nehmen und wie schön es ist, wenn wir eins mit uns sind.
Entstanden ist eine künstlerische Dokumentation des Prozesses. Zu sehen sind Auszüge aus Texten, Fotos und Videos, alle erarbeitet von den Teilnehmenden.
Wir sind glücklich, dass wir trotz aller Hindernisse, hier angekommen sind. Für uns war es eine aufregende und herausfordernde Erfahrung zugleich, ein Tanz-Projekt nicht mit einer Bühnen-Performance zum Abschluss zu bringen, sonder an Stelle dessen, eine Internetseite zu bestücken.
Das Thema Körper und Landschaften wird uns weiterhin begleiten.
Die gelbe Blume
Zittert unverzagt im Wind.
Ängstlich wartet sie.
Wer mehr Infos über die Arbeit von Agnetha Jaunich und Mareike Steffens bekommen oder selbst einmal in einem Community Tanz Projekt mitwirken möchte, ist herzlich eingeladen eine Email an info@fine-line-moves zu senden!